Seit dem 22. März 2020 gelten in Deutschland umfangreiche Kontaktbeschränkungen und das öffentliche Leben ist weitestgehend lahmgelegt. Die aktuelle Situation zur Eindämmung der Corona-Pandemie schränkt uns in unseren persönlichen Freiheiten stark ein. Im Folgenden gebe ich einen Überblick über die betroffenen Grundrechte sowie die rechtlichen Grundlagen der von der Bundesregierung gemeinsam mit den Bundesländern getroffenen Maßnahmen.

Eingeschränkte Grundrechte

Art. 2 Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige  Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
 (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Art. 4 Glaubens- und Bekenntnisfreiheit

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

Art. 8 Versammlungsfreiheit

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Art. 11 Freizügigkeit

(1) Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet.
 (2) Dieses Recht darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes und  nur für die Fälle eingeschränkt werden, in denen eine ausreichende  Lebensgrundlage nicht vorhanden ist und der Allgemeinheit daraus  besondere Lasten entstehen würden oder in denen es zur Abwehr einer  drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische  Grundordnung des Bundes oder eines Landes, zur Bekämpfung von  Seuchengefahr, Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen,  zum Schutze der Jugend vor Verwahrlosung oder um strafbaren Handlungen  vorzubeugen, erforderlich ist.

Art. 12 Berufsfreiheit

(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.

https://www.gesetze-im-internet.de/gg/BJNR000010949.html#BJNR000010949BJNG000100314

Rechtliche Grundlagen

Deutschland hat im Gegensatz zu anderen Ländern, wie etwa Ungarn, nicht den Notstand ausgerufen. Die Ausrufung des Notstandes ermöglicht es der Regierung, Entscheidungen am Parlament vorbei zu treffen. Deutschland hatte aufgrund seiner historischen Entwicklung (Missbrauch der Notstandsverordnungen durch die Nationalsozialisten) im Grundgesetz zunächst keine Notstandsklausel. Diese wurde erst im Jahr 1968 eingeführt. Die seitdem geltenden Notstandsgesetze dienen der Abwehr einer drohenden Gefahr von innen (Gefährdung für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Bundeslandes) sowie der Abwehr einer Gefahr von außen (Verteidigungsfall). Beides gilt in der aktuellem Corona-Krise nicht.

Derzeit greift nur Art. 35 Abs. 2 und 3 des Grundgesetzes:

(2) Zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung kann ein Land in Fällen von besonderer Bedeutung Kräfte und Einrichtungen des Bundesgrenzschutzes zur Unterstützung seiner Polizei anfordern, wenn die Polizei ohne diese Unterstützung eine Aufgabe nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten erfüllen könnte. Zur Hilfe bei einer Naturkatastrophe oder bei einem besonders schweren Unglücksfall kann ein Land Polizeikräfte anderer Länder, Kräfte und Einrichtungen anderer Verwaltungen sowie des Bundesgrenzschutzes und der Streitkräfte anfordern.

(3) Gefährdet die Naturkatastrophe oder der Unglücksfall das Gebiet mehr als eines Landes, so kann die Bundesregierung, soweit es zur wirksamen Bekämpfung erforderlich ist, den Landesregierungen die Weisung erteilen, Polizeikräfte anderen Ländern zur Verfügung zu stellen, sowie Einheiten des Bundesgrenzschutzes und der Streitkräfte zur Unterstützung der Polizeikräfte einsetzen. Maßnahmen der Bundesregierung nach Satz 1 sind jederzeit auf Verlangen des Bundesrates, im übrigen unverzüglich nach Beseitigung der Gefahr aufzuheben.

Neben den Notstandsbefugnissen gibt es noch das Katastrophenschutzrecht, welches in Deutschland Ländersache ist. Bayern und Sachsen haben den Katastrophenzustand ausgerufen, was den Landesregierungen ermöglicht die Katastrophenbekämpfung anstelle der Landräte umzusetzen.

Die von der Bundesregierung erlassenen Maßnahmen stützen sich weitgehend auf die Generalklausel des Infektionsschutzgesetzes (IfSG), in der es heißt, dass die Behörde die „notwendigen Schutzmaßnahmen“ ergreifen kann.

Infektionsschutzgesetz (IfSG)

§ 28 Schutzmaßnahmen
(1) Werden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt oder ergibt sich, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, so trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten. Unter den Voraussetzungen von Satz 1 kann die zuständige Behörde Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen von Menschen beschränken oder verbieten und Badeanstalten oder in § 33 genannte Gemeinschaftseinrichtungen oder Teile davon schließen. Eine Heilbehandlung darf nicht angeordnet werden. Die Grundrechte der Freiheit der Person (Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes), der Versammlungsfreiheit (Artikel 8 des Grundgesetzes), der Freizügigkeit (Artikel 11 Absatz 1 des Grundgesetzes) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Absatz 1 des Grundgesetzes) werden insoweit eingeschränkt.

Die Juristin und Junior-Professorin Dr. Anika Klafki kritisiert in einem Interview vom 3. April 2020 mit der Bundeszentrale für Politische Bildung, dass das Infektionsschutzgesetz in seiner Formulierung sehr unbestimmt ist:

„Wichtig wäre aber eine genauere rechtliche Regelung, unter welchen Umständen genau solche Maßnahmen verhängt werden dürfen – schon bei der saisonalen Grippe oder nur bei epidemischen Notlagen? – welche Ausnahmen vorgesehen werden müssen und wie lange solche Maßnahmen gelten dürfen, bis sie zumindest nochmal erneut geprüft werden müssen.“

Klafki sieht das Parlament – und nicht allein die Exekutive – nun gefordert:

„In einer Demokratie ist es angemessen, dass sich das Parlament darüber austauscht und entscheidet, unter welchen Umständen solche weitreichenden Eingriffe in die Grundrechte der Menschen möglich sein sollen und wie lange diese andauern dürfen.“

Klafki weist außerdem darauf hin, dass nach der langjährigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, jeder Grundrechtseingriff durch eine gesetzliche Grundlage gestützt werden müsse. Bei einigen der derzeit getroffenen Maßnahmen sieht Klafki die gesetzliche Grundlage für nicht ausreichend gegeben an. Als Prüfmaßstab komme es auch auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit an. So müsse jede einzelne Maßnahme auch für das Ziel – die Ausbreitung des Virus zu verhindern – geeignet sowie erforderlich sein, d.h. die Maßnahme müsse das mildeste unter den gleichgeeigneten Mitteln darstellen. Außerdem müsse die Maßnahme bei der Abwägung der betroffenen Grundrechte angemessen sein; ebenfalls müsse der Schweregrad des Grundrechtseingriffs berücksichtigt werden. So stünden sich bei den Kontaktverboten etwa das Recht auf die freie Entfaltung der Person sowie das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit gegenüber.

Klafki sieht die rechtlichen Grundlagen der derzeitigen Maßnahmen ausgeschöpft.

„Ich kann mir durchaus vorstellen, dass noch strengere Ausgangsbeschränkungen verhängt werden. Solchen Maßnahmen stehe ich aber sehr kritisch gegenüber. Es darf trotz der Corona-Krise kein temporärer Polizeistaat entstehen, in dem man jederzeit auf der Straße polizeilich kontrolliert werden kann. Aus meiner Sicht müsste das Parlament tätig werden, um genau zu definieren, welche Freiheitseingriffe in so einer Krise angeordnet werden dürfen, für wie lange sie gelten dürfen – und was zu weit geht.“

https://www.bpb.de/politik/innenpolitik/307395/interview-corona-und-grundrechte

In dieser Situation der vorübergehenden Einschränkung einiger Grundrechte, die man als „Unfreiheit“ bezeichnen könnte, wird erst greifbar, was Freiheit eigentlich bedeutet und was für ein hohes Gut sie ist.
Die Einschränkung welcher Freiheiten fällt euch besonders schwer? Fühlt ihr euch „unfrei“?
Schreibt eure Meinung in die Kommentarfunktion!

Unfreiheit in Zeiten von Corona

5 Gedanken zu „Unfreiheit in Zeiten von Corona

  • 8. April 2020 um 15:43 Uhr
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    Freiheit in Zeiten vor Corona bedeutete doch für die meisten von uns machen und tun können, was wir wollten. Keiner hat uns vorgeschrieben, wann wir uns mit wem wo treffen, wie nahe wir uns kommen und wie lange wir uns irgendwo aufhalten. Jetzt sieht es ganz anders aus. Unsere persönlichen Freiheiten werden von der Regierung bestimmt, ganz im Sinne der Gesundheit. Wir alle können nur hoffen, dass es sehr bald eine positive Veränderung gibt in Form von einer Impfung, Medikamenten oder/und zurückgehender Anzahl von Neuerkrankten.

  • 19. April 2020 um 10:56 Uhr
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    Freiheit in Zeiten von Corona:
    Möglichst viele Menschen in einer kurzen Zeit zu erreichen und zum Handeln zu bewegen, ist eine sehr schwierige, wenn nicht sogar fast unmögliche Aufgabe. Es sei denn, wir greifen zu einem altbewährten Hilfsmittel, welches uns schon in Zeiten des Faschismus und der DDR gute Dienste geleistet hat. Die Angst. Angst ist etwas, das den Menschen tief innen bewegt. Die Bedrohung und Endlichkeit des eigenen Lebens plötzlich „greifbar“ macht. Uns direkt vor Augen führt. Und leider all zu oft auch die Augen verschließen lässt. Die so lang erkämpfte und gefeierte Rationalität, die den Menschen doch zu dem macht, was er ist, vollkommen in den Hintergrund drängt.
    Wir nehmen auf einmal bedingungslos Einschränkungen in Kauf, die die Menschen über Jahrhunderte hinweg mühsam und blutig erkämpft haben.
    Ist Freiheit mit den Grundrechten gleichzusetzen? Oder dienen die Grundrechte nicht viel mehr dazu den Menschen gewisse Freiheiten zu garantieren. Doch was ist Freiheit? Die Möglichkeit sich in Gruppen zu treffen? Das freie Äußern unserer Meinung? Die freie Entfaltung unserer Persönlichkeit?
    Nein. Freiheit ist in uns. Wir sind Freiheit. Denn wir können entscheiden. Zum Beispiel, ob die Bundesregierung unsere Grundrechte einschränken darf, ohne dass wir uns dagegen zur Wehr setzen, oder dies zumindest kritisch hinterfragen.
    Leider scheint es so, als wären viele Menschen in Deutschland nicht mehr in der Lage, frei zu handeln und zu entscheiden. Viel mehr scheint es eine Haltung der völligen Akzeptanz zu geben. Masken werden getragen, Mitbürger zurechtgewiesen oder angezeigt. Unsere Haltung ist ein „sich ergeben in die Situation“. Dabei vergessen, oder wollen wir oft verdrängen, dass die Regierung und ihre Entscheidungen ein von uns eingesetztes Organ sind. Wir sollten bestimmen. Das nennt man Demokratie. Dafür haben wir lange gekämpft.
    Unsere Rechte sind nur dann real, wenn wir mit ihnen umgehen, sie überdenken, Entscheidungen hinterfragen.
    In Zeiten von Covid ist nicht nur unsere Bewegungsfreiheit extrem eingeschränkt. Und wir akzeptieren dies ohne Widerrede. Was bedeutet das also für unsere innere Freiheit?

    • 19. April 2020 um 11:49 Uhr
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      @la verité?!:
      Vielen Dank für deinen Beitrag und deine Überlegungen zum Thema „Freiheit in Zeiten von Corona“. Es stimmt, dass ohne „Angst“ vor dem Virus diese Einschränkungen der Grundrechte nicht durchgesetzt und akzeptiert werden würden.
      Und ja, die Funktion der Grundrechte ist es, uns gewisse Freiheiten, wie die Versammlungsfreiheit oder Entfaltung der Persönlichkeit, zu garantieren.
      Durch die Garantie dieser Grundrechte oder Freiheitsrechte soll auch eine innere Freiheit gefördert und unterstützt werden. Diese innere Freiheit ist natürlich unabhängig von gesetzlich garantierten Grundrechten. Nur weil es eben in früheren Zeiten Menschen gab, die aufgrund ihrer inneren Freiheit für diese Freiheitsrechte gekämpft haben, können wir heute von ihnen profitieren.
      Und daher sollte gerade in Zeiten von Corona und Freiheitsbeschränkungen die innere Freiheit uns leiten, eben gewisse Maßnahmen in ihrer Verhältnismäßigkeit auch zu hinterfragen oder zu diskutieren.

      • 20. April 2020 um 14:53 Uhr
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        Ich stimme dir absolut zu!

  • 5. Mai 2020 um 14:17 Uhr
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    Das berühmte Rosa Luxenburg Zitat „Freiheit ist immer auch die Freiheit der Andersdenkenden“ trifft auf die Coronapandemie nicht zu. Denn wenn mein Freiheitsbedürfnis das Leben der anderen gefährdet dann handle ich diktatorisch. Wir befinden uns in einem Kriegszustand nicht gegenüber anderen Menschen, sondern gegen einen unsichtbaren Gegner, der alle gefährdet.
    Meine innere Freiheit gebietet mir rücksichtsvoll zu sein und wenn ich dies bin muß ich mich nicht politischen Zwängen unterwerfen. Wenn ich aber nicht rücksichtsvoll bin, muß der Staat dies unterbinden, um seine Bürger zu schützen.
    Die politischen Folgen und Ursachen der Corona Pandemie sind viel tiefgreifender und komplexer, als man sie mit simplifizierten Argumenten
    beurteilen könnte.

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